2024 - Das Jahr des Eklektizismus
Wenn man auf 2024 zurückblickt, könnte man es als das Jahr der radikalen Individualität beschreiben. In der Mode, Lifestyle und auch in der Parfümerie drehte sich alles darum, sich von der Masse abzuheben – lauter, mutiger und auffälliger als der Rest der Welt war die Devise. Doch dieses Streben nach Aufmerksamkeit und Einzigartigkeit in einer Welt, die bereits alles mindestens einmal gesehen hat, offenbarte auch eine gewisse Absurdität: Wie kann man das Rad neu erfinden, wenn das Auto längst fährt? Alles war erlaubt – doch kaum etwas hatte Bestand.
Eklektizismus nennt man das Kombinieren unterschiedlicher kultureller, stilistischer und historischer Elemente, indem Stile aus ihrem Kontext gerissen und neu zusammengesetzt werden. Und der Griff in den Topf der verschiedensten Stilrichtungen erreichte in diesem Jahr einen neuen Höhepunkt. Es wurde kombiniert und gelayert, was das Zeug hielt: Rock über Hose, Karos zu Blumen, Spitze zur Cargohose, Wanderschuhe zum Slipdress – je mehr Texturen, Muster und Motive aufeinander trafen, desto besser. Ein „Mix and (possibly don’t) match“, das auch in der Parfümerie angesagt war und den Wunsch widerspiegelte, aus einer Fülle von Inspirationen etwas Eigenes zu schaffen. Davon abgesehen ging die Reise in Sachen Duft eher „back into the future“: Die Branche kehrte nicht nur zum Ursprung der Nischenbewegung zurück, sondern trieb sie weiter ins Extreme. Parfums imitierten den Geruch von Asphalt, verbranntem Holz oder salziger Haut. Neue Gourmands rochen nicht mehr nur nach süßer Vanille, sondern nach schwarzen Kirschen, Cola, Popcorn, Brathähnchen oder Pistazieneis. Der Einzug der Künstlichen Intelligenz war unübersehbar und auch in der Parfümerie zu sehen; in der Werbung und ich vermute auch in den Konzeptionen neuer Düfte. Während hyperintensive Extrait de Parfums rasant an Popularität gewannen, hatten EdT’s und EdP’s das Nachsehen und wurden zur Rarität. Wie in den frühen Tagen der Nischenparfümerie war „anders riechen“ das neue Ideal.
Einzig junge Männer hatten eine andere Agenda: Angetrieben von TikTok-Hypes und Influencern, wurde Parfüm für sie ein Mittel der Selbstdarstellung, und es wurde wichtig, dass man das Preisschild schon von weiten riechen konnte. Internethypes entwickelten sich so zum absoluten Must-have, und führten dazu, dass diese Zielgruppe sich als entscheidender Umsatzbringer herausstellte - insbesondere auch für Nischen- und Luxusmarken. Andererseits scheiterten auch 2024 etliche Versuche, verlässliche Trends zu etablieren. Die Pantone-Farbe „Peach Fuzz“ führte beispielsweise trotz medialer Bemühungen ein Schattendasein, und „Mocha Mousse“ wird es 2025 vermutlich ähnlich ergehen. Social-Media-Trends wie die aufmüpfigen Brat Girls oder die inszenierte Häuslichkeit der Trad Wives blieben bestenfalls flüchtige Phänomene, die schnell in den digitalen Sphären verglühten. Einzig „Quiet Luxury“ zeigte Beständigkeit: Marken, die auf Understatement und Qualität statt auf lautes Logo-Branding setzten, fanden wachsende Anhänger. Preise von 400 Euro und mehr für eine Flasche Parfum schreckten niemanden ab. Ob dies an finanzieller Freiheit oder an einer bewussten Abkehr vom schnellen Konsum lag, bleibt offen. Fest steht: Exklusivität, Qualität, hochwertige Verarbeitung, natürliche Materialien und zeitlose Designs wurden zu neuen Statussymbolen - und vielleicht auch zu einem leisen Statement für mehr Nachhaltigkeit.
Während 2024 von Individualismus und Selbstdarstellung geprägt war, deutet sich aktuell ein Gegentrend an. Inmitten des allgemeinen Lärms - von politischem Neuwahl-Getöse über Krieg und Terrorgefahr bis hin zu Umweltkatastrophen - rücken Gemeinschaft und Nachhaltigkeit leise in den Fokus. Vielleicht, weil die ständige Jagd nach dem nächsten großen Trend ermüdet oder weil die aktuellen Herausforderungen uns daran erinnern, dass es nicht nur um das Ich gehen kann, sondern auch um das Wir? So gesehen hat 2025 durchaus die Chance zu einem Jahr der kollektiven Besinnung zu werden und zu einem Jahr, in dem nicht mehr die auffälligsten Farben, lautesten Parfums oder extremsten Trends dominieren, sondern eine Ästhetik, die verbindet statt zu trennen. Qualität und Langlebigkeit könnten über schnellen Konsum triumphieren - nicht nur in der Mode, sondern auch in der Parfümerie. Individualität wird sicher weiterhin wichtig bleiben, doch ihre wahre Stärke könnte darin liegen, sich harmonisch in ein größeres Ganzes einzufügen und eine Balance zwischen Ich und Wir zu finden.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen mehr Gemeinsamkeit statt Individualismus – und Ihnen natürlich ein friedliches und erfolgreiches neues Jahr.