Die Angst etwas zu verpassen

Kennen Sie das? Sie müssen eine Sache nur oft genug irgendwo sehen und über kurz oder lang haben Sie das Gefühl, dass Sie etwas verpassen, wenn Sie das jeweilige Objekt Ihrer Begierde nicht auf der Stelle kaufen oder Ihren nächsten Urlaub nicht in diesem paradiesischen Hotel auf den Malediven buchen. Ein Mechanismus, der universell auf alle Lebensbereiche übertragbar ist, allerdings durch Soziale Medien, Zeitschriften, Stars, Sternchen und Werbung allgemein verstärkt wird. Egal ob Reisen, Mode, Schmuck, Kosmetik oder Parfums, die Gleichung sieht dabei sehr oft folgendermaßen aus: Rarität/Neuheit + Luxus = "Haben Wollen". Und dann geht es los: Das Objekt der Begierde rückt umso mehr in den Fokus, je öfter man es sieht. Und je öfter man es sieht, desto mehr kommt man zu der Erkenntnis, der einzige Mensch auf diesem Planeten zu sein, der nicht dabei ist. Und das is ein klassischer Fall von FoMO (Fear of Missing out) oder auf gut deutsch: Die Angst etwas zu verpassen.

Die Angst etwas zu verpassen

FoMO ist ein Phänomen, das mittlerweile von Experten als erste „Social Media-Krankheit“ bezeichnet wird und laut Wikipedia die „zwanghafte Sorge, eine soziale Interaktion, eine ungewöhnliche Erfahrung oder ein anderes befriedigendes Ereignis zu verpassen“ beschreibt. Erfahrungsgemäß wird FoMO durch Beiträge in den Sozialen Medien oftmals nicht nur geweckt, sondern vor allem befeuert. Mich ereilte dieses neuzeitliche Internet-Phänomen beispielsweise das erste Mal mit voller Wucht, nachdem ich im Herbst den richtigen Zeitpunkt zum Kauf von einem bestimmten Paar Stiefeln in meiner Größe verpasst hatte und den ganzen langen Winter bei jedem Öffnen von Instagram daran erinnert wurde. In der Folge habe ich Monate im Netz damit verbracht, die Stiefel doch noch irgendwo zu finden - von diversen Anfragen bei unzähligen Händlern ganz zu schweigen. Gleiches gilt für Limited Editions jeglicher Art, für die ich als bekennendes Konsumopfer per se sehr empfänglich bin und die daher selten eine Chance haben, nicht in meinem Einkaufskorb zu landen. Was mich antreibt, ist die Angst, dass etwas für mich auf NimmerWiedersehen verschwunden sein könnte. Und so bin ich neben einer erlesenen Kollektion von Schuhen, zum Beispiel unlängst auch stolze Besitzerin einer hübschen Dose mit sprudelnden Badetabletten von Chanel No 5 geworden. Der Grund: Jedes einzelne Teil dieser sog. Factory Collection war nicht nur innerhalb kurzer Zeit buchstäblich vor meinen Augen ausverkauft, sondern unverzüglich auf unzähligen Fotos in meinem Instagram Feed gelandet. Ich hätte übermenschliche Kräfte benötigt, dieser - zugegebenermaßen bildschönen - Limited Edition zu widerstehen. Dabei mag ich den Duft nicht einmal.

Übrigens ist FoMO keineswegs auf die sog. Generation „Instagram“ beschränkt. Denn was für die Jüngeren und Junggeblieben Instagram und Facebook sind, ist für andere Teleshopping oder Verkaufsparty. Wie amerikanische Wissenschaftler kürzlich in einer Studie festgestellt haben, verteilt sich die Angst etwas zu verpassen, ziemlich gleichmäßig auf sämtliche Altersgruppen von 14 - 47 Jahren. Dabei ist nicht etwa der persönliche Geschmack oder eine wohl überlegte Kaufentscheidung ausschlaggebend, sondern der Glaube, durch den Besitz des Objektes der Begierde perfekter oder gar glücklicher zu werden. Was man dabei meist außer Acht lässt: In der Realität schwebt vor allem das Damoklesschwert des Fehlkaufs über dieser Angst etwas zu verpassen. Und das wiederum macht alles andere als glücklich und ist zudem weder nachhaltig noch gut fürs Konto.

Was also tun? Ich warte zum Beispiel neuerdings einfach mal ein paar Tage, bevor ich mich für einen Kauf entscheide. Denn erfahrungsgemäß sind selbst Limited Editions in der Regel nicht innerhalb weniger Stunden ausverkauft. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass Hersteller Limitierungen auch gerne als eine Art Testballon lancieren und sie oftmals früher oder später - wenn auch vielleicht in veränderter Aufmachung im Standardprogramm (wieder) auftauchen. Auch bei Neuheiten versuche ich dem Drang diese als erste besitzen zu müssen, zu widerstehen. Es sei denn es steht mein Name drauf und es handelt sich um etwas worauf ich seit langen gewartet habe. Und last but not least ist die Gegenbewegung bereits am Start: JoMO (Joy of Missing Out) will uns mit der Freude am bewussten Verpassen, sozusagen back to the roots des bewussten Konsums führen. Und wenn wir ehrlich sind, ist es doch gar nicht so schlimm, hin und wieder etwas zu verpassen und nicht immer und überall dabei zu sein. Denn es ist soviel schöner, mit Bedacht erworbene Dinge zu genießen und sich vor allem ohne schlechtes Gewissen uneingeschränkt darüber zu freuen, oder?

Christiane Behmann Christiane Behmann ist Diplom Sozialwissenschaftlerin und Texterin. Nachdem sie lange Jahre als Pressereferentin für verschiedene Unternehmen tätig war, wagte sie 2000 mit einer eigenen Werbeagentur den Schritt in die Selbständigkeit. 2007 gründete sie das „Archiv für Duft & feine Essenzen“ und war damals eine der ersten Bloggerinnen Deutschlands. Seit 2009 war sie außerdem Inhaberin vom Duftcontor in Oldenburg und arbeitet jetzt wieder in ihrem alten Beruf.


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