Ein Prosit auf 2022

Eigentlich war das Jahr 2022 für mich bereits gelaufen, bevor es überhaupt begonnen hatte. Zumindest in einer Hinsicht: Seit meiner frühesten Jugend schreibe ich am letzten Tag des Jahres drei Wünsche für das kommende Jahr auf einen kleinen Zettel. Dieser Zettel wird sorgfältig an eine Silvesterrakete gebunden und um Mitternacht zwecks Wunscherfüllung in den Himmel geschickt. Und in diesem Jahr? War alles Banane. Mein Vorrat an Silvesterraketen war bereits im letzten Jahr aufgebraucht und Ersatz gab es nicht, weil - Corona sei es geschuldet - der Verkauf von Feuerwerk wiederum verboten war. Es musste also dringend ein Ersatz her, denn meine jährliche Wunschrakete ist nicht nur eine liebgewonnene Tradition, sondern als Glücksbringer natürlich auch mit einer nicht zu unterschätzenden Prise Aberglauben belastet.

 

 

Ein kurzer Blick auf die Silvesterbräuche in anderen Ländern förderte einiges mit Potential zutage: Vom Walzertanz um Mitternacht bis zur Silvesterkarpfenschuppe im Portemonnaie war von leicht umsetzbar bis obskur alles dabei. Ohne weiteres Nachdenken verworfen habe ich beispielsweise den Schweinebraten inkl. glücksbringend aufzuessendem Schweinerüssel, weil ich Schwein - ob mit oder ohne Rüssel - nicht mag. Auch die in Spanien üblichen 12 Weintrauben, die mit jedem Glockenschlag um Mitternacht gegessen werden müssen, waren mir zu stressig - zumal für jeden Fehler im Ablauf das Pech im kommenden Jahr auf dem Fuße folgen soll. Überhaupt wird an Silvester vieles glücksbringend gegessen und noch mehr getrunken. So schreibt man in Russland seine Wünsche auf ein Stück Papier, verbrennt dieses und trinkt die Asche mit einem Glas Champagner vor Mitternacht, damit die Wünsche in Erfüllung gehen. In Brasilien hingegen isst man Bohnen, um im kommenden Jahr seinen Wohlstand zu mehren, während in Tschechien aus dem gleichen Grund Linsen auf der Speisekarte stehen. Überhaupt scheint Linsensuppe ein international recht beliebtes Silvesteressen zu sein, da die Linsen stellvertretend für Münzen stehen und damit immer für das nötige Kleingeld im neuen Jahr sorgen sollen. Diesen Brauch kennt man übrigens auch in Deutschland, in Italien oder in den USA. Damit einem allerdings das Glück nicht vorzeitig davonfliegt, sollte man hingegen auf Geflügel als Bestandteil des Silvestermenüs lieber verzichten. In die engere Auswahl kam für mich auch das „Silvester-Räuchern“ mit Wacholder, der schlechte Energie und belastende Gedanken vertreiben und Salbei, der dem Alten den Weg nach draußen zeigt und so Platz für etwas Neues schaffen soll. Aber auch ein beliebter Brauch aus Italien gefiel mir gut: Dort trägt man zu Silvester neue, rote Unterwäsche, die am Neujahrsmorgen weggeworfen wird. Ebenso originell wie leicht umsetzbar, fand ich auch eine Tradition aus Dänemark: Dort springt man Punkt Zwölf von einem Stuhl ins Neue Jahr und sorgt so für sein Glück - zumindest solange man sich dabei nicht den Hals bricht.

Da stellt sich jetzt natürlich die Frage, wie sich mein Silvesterabend schlussendlich gestaltete? Um es kurz zu machen: Wie gehabt schrieb ich drei Wünsche auf einem Zettel, der diesmal allerdings gemäß frei interpretiertem russischem Ritual verbrannt wurde. Der Champagner wurde ordnungsgemäß erst kurz vor Mitternacht geöffnet, sodann mit einem Hauch edler Wunsch-Asche versehen und (wichtig!) unmittelbar vor Mitternacht getrunken. Nachdem ich dank „Dom Rosa“ angemessen und gut duftend in meiner roten Unterwäsche (die im Übrigen aus Gründen der Nachhaltigkeit weder neu war, noch entsorgt wurde) um Mitternacht á la Dänemark vom Stuhl ins neue Jahr gehüpft bin, prostete ich mir mit einem freudigen „Prosit“ zu.

„Prosit“ stammt übrigens vom lateinischen „prodesse“ ab und bedeutet „es möge nützen“, und zwar an Silvester ausgesprochen, bei einem guten Gelingen des Neuen Jahres. In diesem Sinne: Ein Prosit auf 2022, auf ein gutes Gelingen und darauf, dass Ihre Wünsche in Erfüllung gehen.

Christiane Behmann Christiane Behmann ist Diplom Sozialwissenschaftlerin und Texterin. Nachdem sie lange Jahre als Pressereferentin für verschiedene Unternehmen tätig war, wagte sie 2000 mit einer eigenen Werbeagentur den Schritt in die Selbständigkeit. 2007 gründete sie das „Archiv für Duft & feine Essenzen“ und war damals eine der ersten Bloggerinnen Deutschlands. Seit 2009 war sie außerdem Inhaberin vom Duftcontor in Oldenburg und arbeitet jetzt wieder in ihrem alten Beruf.


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