Farnwedelfrisch
Nirgendwo spürt man den Wandel der Jahreszeiten so intensiv wie im Wald bei einem Spaziergang. Zumindest sofern man versucht, die Natur mit wachen Sinnen wahrzunehmen. Im Winter ist der Wald still, kalt, abweisend, dunkel und fast ohne Geruch. Im Frühling ist alles hell und freundlich. Alles sprießt und wirkt leuchtend grün, wenn die Sonnenstrahlen auf den taubenetzten, zarten Farnblättern tanzen. Wenn im Sommer die Sonne das Harz der Kiefern zum Duften bringt, hat man an manchen Tagen eine Mischung aus rot-zuckrigem Hustensaft und „Badedas“ in der Nase. Die Waldwege sind feinsandig und von Kiefernnadeln durchsetzt. Und dann kommt der Herbst. Das Laub der Bäume färbt sich und leuchtet in allen Schattierungen von Gelb, Rot und Braun. Am liebsten möchte ich dann - wie in Kindertagen - die schönsten Blätter sammeln und in ein Album kleben und mitsamt dem Geruch nach feuchter Erde und dem Duft der aus dem Boden schießenden Pilze konservieren. Wie ich mir im Übrigen wünsche, alle diese Impressionen und Sinneswahrnehmungen als Ganzes konservieren zu können.
Natürlich gibt es Myriaden von Landschaftsmalern, Fotografen, Sounddesignern, Filmregisseuren und Parfümeuren, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den Wald als Sujet in seiner ganzen Schönheit und Vielfalt einzufangen. Allerdings können selbst große Künstler allerhöchstens drei unserer sieben Sinne gleichzeitig bespielen: Neben Sehen, Riechen und Hören, wollen wir nämlich auch tasten, schmecken, Wärme oder Kälte fühlen und wir benötigen ein Gefühl für die Dimension und den Raum, in dem wir uns bewegen. Immerhin scheint Letzteres dank 3D-Technologie und künstlicher Intelligenz in nicht allzu weiter Ferne zu liegen - auch ohne lästige 3D-Brille. Was jedoch das berühmt berüchtigte „Geruchskino“ betrifft, bleibt es wohl bis auf weiteres im Experimentalstadium. Erinnert sich noch jemand an den Film „Das Parfum“? Die Parfumeure Christophe Laudamiel und Christophe Hornetz kreierten damals ein Coffret mit 14 Düften zu den Schlüsselszenen des Filmes: Von „Baby“ und „Virgin No1“ über „Paris 1738“ und „Menschenduft“, bis hin zu „Orgie“ und „Aura“ gab es einiges zu erriechen. Das war mal hübsch, mitunter widerlich, aber grundsätzlich interessant. „Baby“ wollte damals - zumindest in Sammlerkreisen - fast jeder besitzen, während der käsig exkrementige „Menschenduft“ nicht wirklich begehrt war. Als Geruchsfilm taugte das Ganze übrigens nicht wirklich, denn wer will sich schon die Spannung durch den plötzlichen Gestank einer Gerbergrube verderben lassen?
Aber ich finde ja sowieso, dass gerade die Parfümerie von der Kunst der schönen Imagination lebt. Und da geht es in der Regel weniger um Authentizität als vielmehr um Wohlgeruch. Insofern krieche ich natürlich nicht auf dem matschigen Waldboden herum, um einen frisch sprießenden Farnwedel zu riechen, sondern bevorzuge die idealisierte Version in Form eines Fougèreduftes. 1882 wurde dieser grüne Duftakkord erstmalig von Paul Parquet für Houbigants „Fougére Royale“ kreiert. Für diesen - übrigens nach wie vor erhältlichen - klassischen Männerduft stand der Farn zwar Pate, jedoch setzte Parquet damals auf die Duftnoten Lavendel, Bergamotte, Geranium, Coumarin und Eichenmoos. Das Ergebnis war eine neue Duftfamilie, die übrigens nicht farnwedelgrün, sondern eher klassisch maskulin und frisch nach Lavendel, Holz und einem Hauch Rasierseife duftet. Jedoch, selbst wenn Fougèredüfte mit ihrer Aura maskuliner Eleganz bis heute zu den beliebtesten und erfolgreichsten Herrenparfums zählen, scheinen sie in Zeiten von zuckerwattesüßem Baccarat Rouge nicht im aktuellen Trend zu liegen. Was im Übrigen offenbar auch für den klassischen Herren zu gelten scheint - zumindest ist dies mein Eindruck, wenn ich mich auf der Straße umschaue. Da trifft es sich natürlich gut, wenn junge und kreative Parfümeure wie Pierre Guillaume das Genre „Fougere“ sanft entstauben und mit neuen Inhalten füllen. Wie mit Guillaumes neuster Kreation „Tigre d’Eau“ den er einen „modernen Fougère“ nennt und darüber hinaus ausdrücklich genderfree konzipiert hat. Überhaupt sind Fougéres mitnichten reine „Männersache“, zumal die Grenzen zwischen maskulin und feminin ohnehin fließend sind. Wie halt herb pudriges Grün mit ein paar Holznoten für mich weder maskulin noch feminin sind, sondern einfach grün, frisch und aromatisch.