Federleicht oder Beast Mode?

Kürzlich fuhr eine Frau auf einem Fahrrad an mir vorbei. Natürlich können Sie sich jetzt zu Recht fragen, was ist daran bemerkenswert? Bemerkenswert war nicht die Frau selbst, sondern die  „Sillage“, ihres „Beast Mode“ Duftes, die wie eine Wand in der Landschaft stand, während sie schon längst nicht mehr zu sehen war. Wenn Ihnen diese Fachbegriffe geläufig sind, brauchen Sie eigentlich nicht weiterzulesen, denn dann sind Sie ein Profi und ich kann Ihnen vermutlich nichts Neues erzählen. Für alle anderen kommt jetzt die Aufklärung: Sillage, Projektion und „Beast Mode“ sind Begriffe, die in der Welt der Parfümerie verwendet werden, um die Intensität und Haltbarkeit eines Duftes zu bewerten. Wobei mit der Haltbarkeit die Dauer des Verbleibes auf der Haut gemeint ist und nicht das Verfallsdatum. In diesem Sinne geht es heute um Qualität, Intensität, Ingredienzien und Wahrnehmungsverzerrungen in Sachen Parfum.

Sillage (ausgesprochen siːˈjɑːʒ) kommt aus dem Französischen und bedeutet Spur bzw. Kielwasser. Genau genommen ist es die Spur, die ein Schiff beim Fahren im Wasser hinterlässt. In der Parfümerie meint Sillage die Duftspur, die ein Parfüm hinterlässt, wenn es getragen wird. Die "Projektion" eines Parfüms bezieht sich hingegen auf die Entfernung von der Haut des Trägers, in der ein Duft wahrgenommen werden kann. Mit anderen Worten: Eine gute Projektion bedeutet, dass der Duft in der Umgebung deutlich wahrnehmbar ist, selbst wenn der/die TrägerIn nicht zu sehen ist. Umgekehrt bedeutet eine geringe Projektion, dass man einen Duft lediglich hautnah riechen kann. „Beast Mode" bezieht sich sowohl auf die Intensität und als auch auf die Haltbarkeit eines Parfüms auf der Haut. Ein Parfüm im "Beast Mode" ist extrem stark und langanhaltend, mit einer intensiven Projektion, die über Stunden oder sogar Tage hinweg anhält. Kriterien, die viele als Königsklasse in Sachen Parfum betrachten; sozusagen der Heilige Gral im Duftuniversum.

 

Federleicht oder Beast Mode?

 

Was sind also die Qualitätskriterien für ein erstklassiges Parfüm? Als erstes sollte es einen gut ausbalancierten Duftablauf von der Kopf- bis zur Basisnote haben, der die verschiedenen Duftnoten harmonisch miteinander verbindet. Es sei denn, wir reden über Parfüms wie beispielsweise „Molecule 02“. Hier ist ein linearer Ablauf - ohne Kopf-, Herz- und Basisnote - Teil des Konzeptes. Das zweite Qualitätsmerkmal ist die Haltbarkeit eines Duftes auf der Haut, die in der Regel über viele Stunden hinweg anhalten sollte, ohne an Intensität zu verlieren. Selbst wenn es sich um einen filigranen und subtilen Duft wie beispielsweise Serge Lutens „Santal Blanc“ handelt. Gleichwohl gibt es wie immer die Ausnahme von der Regel - zumindest, wenn wir von hochwertigen und reinen Rohstoffen sprechen - die zudem ein weiteres Qualitätsmerkmal darstellen. Zitrusnoten sind per se flüchtig und fragil. Deshalb findet man sie meist ausschließlich in der Kopfnote, die bereits nach ca. zehn Minuten verschwindet. Will man also einen puristischen, gut ausbalancierten Zitrusduft, so wird dieser kaum „Beast mode“ sein, sondern im Gegenteil relativ schnell hautnah und damit kaum wahrnehmbar werden. Man muss sich das in etwa so vorstellen: 100 Gramm Kartoffeln haben einen höheren Sättigungswert als 100 Gramm Zitronensorbet - außer, man ergänzt das Sorbet mit Sahne und einer sättigenden Kuchenbeilage. Ganz ähnlich verhält es sich mit Zitrusnoten: Entweder sie sind vergleichsweise schnell verschwunden oder man findet sich damit ab, dass man am Ende einen holzigen oder pudrigen Duft bekommt. Bleiben - last but not least - die Handwerkskunst und Expertise eines guten Parfümeurs sowie die Verpackung und das Design mit einem ansprechenden Flakon und einer hochwertigen Box, die ebenfalls von einem Parfum der Luxusklasse erwartet werden.

Und die Erwartungen des heißumworbenen Verbrauchers? Der möchte natürlich einen Duft, der ihm und anderen gefällt, mit dem er positiv in der Erinnerung bleibt. Aber er erwartet auch mehrheitlich einen langanhaltenden und intensiven Duft. „Mein Duft soll raumfüllend sein“ oder „Ich mag es, wenn die Leute mich riechen, bevor sie mich sehen“, hört und liest man sehr oft.

Es geht also auch um Aufmerksamkeit und Präsenz. Und die kann gerade bei intensiven, überdosierten Parfüms sehr schnell ins Gegenteil umschlagen. Viel ist manchmal eben einfach zuviel. Dazu muss man wissen, dass das menschliche Gehirn sich sehr schnell an wiederholende Sinneswahrnehmungen gewöhnt und diese dann gelangweilt ausblendet. Das passiert beispielsweise bei dauerhaftem Lärm, aber eben auch bei Gerüchen. Ihr Gehirn ist also meistens daran schuld, wenn Sie Ihr Lieblingsparfum oder Duftnoten, die Sie besonders gern mögen, nicht mehr riechen können. Eine Wahrnehmungsverzerrung, die meist nicht der Realität entspricht, und mit dem Ticken einer Uhr verglichen werden kann. Es ist da, aber Sie hören es nicht. Leider kann man diesen Vorgang kaum dauerhaft beeinflussen. Wenn man dann als Folge wie ein Junkie zu immer höheren Dosen greift, wird das Problem nur größer und möglicherweise können Sie Ihren Duft irgendwann gar nicht mehr riechen. Wenn ich also lese „Ich könnte mir jede Stunde Parfüm auf meinen Hals sprühen, denn ich hasse es, wenn ich meinen Duft nicht mehr rieche“, dann freuen sich darüber sicherlich Hersteller und Händler, ich rate Ihnen hingegen, genau das nicht zu tun.

Natürlich verstehe ich, dass man seinen Lieblingsduft deutlich und am liebsten rund um die Uhr riechen möchte. Aber ein Atomschlag ist kein Sinfoniekonzert. Schwere, orientalische Parfüms oder Duftnoten wie Tuberose, Weihrauch, Leder, Patchouli oder auch Oud haben per se eine hohe Intensität. Hier ist also grundsätzlich immer eine Dosierung mit Fingerspitzengefühl angeraten. Richtig problematisch wird es jedoch bei Düften ohne nennenswerten Duftverlauf, dafür jedoch mit einem hohen Anteil synthetischer Duftstoffe in Höchstkonzentrationen. Diese Düfte stehen dann tatsächlich oft wie eine Wand im Raum, die nicht nur den/die TrägerIn, sondern auch jeden anderen buchstäblich erschlägt. Sollten Sie also auf „Beast Mode“ stehen, tasten Sie sich bei intensiven Parfums wie z.B. Montales Bestseller „Arabians Tonka“ oder Amouages „King Blue“ erst einmal vorsichtig an die Dosierung heran, die zu Ihnen und Ihrer Haut passt. Denn selbst die intensivsten Düfte kann man auf ein allgemein verträgliches Maß runterfahren. Die einmal gefundene Dosierung sollten Sie dann wie eine Art Duftritual beibehalten und nicht erhöhen, vor allem nicht, wenn Sie selber nichts mehr von ihrem Duft riechen. Denn nicht der Duft hat sich verändert, sondern lediglich Ihre Wahrnehmung. 



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