Früher war alles besser! Oder?

Geben Sie es zu … Sie denken doch garantiert auch oft, dass früher alles besser war. Dass die Sommer sonniger, die Weihnachtsfeste weiß und die Luft reiner war. Nicht nur, weil es kein Corona gab, sondern weil die Menschen zusammenhielten und Nachbarschaft ein hohes Gut war. Weil man für eine Mark noch richtig was kaufen konnte und das Fernsehprogramm sowieso mehr Qualität als heutzutage hatte. Ich zumindest, denke das ziemlich oft.

Umso überraschter musste ich feststellen, dass es der Welt - objektiv betrachtet - heute um ein Vielfaches besser geht als z.B. noch vor 60 Jahren. Unsere Lebenserwartung ist deutlich gestiegen und die Kaufkraft hat sich seither verdreifacht. Musste ein Arbeiter 1960 beispielsweise noch 28 Tage für eine neue Waschmaschine schuften, sind es heute gerade mal zweieinhalb Tage. Während die Deutschen Mitte der 50er Jahre bei einer 6-Tage Woche einen durchschnittlichen Urlaubsanspruch von 2 Wochen hatten, haben Arbeitnehmer heute bei einer Wochenarbeitszeit von 38 Stunden mit sechs Wochen dreimal soviel Zeit für ihre Urlaubsplanung zur Verfügung. Und das Wetter? War im Schnitt weder besser noch schlechter: Gerade sechs Mal gab es in den vergangenen 120 Jahren in Deutschland flächendeckend „Weiße Weihnachten“ mit Schnee von der Nordsee bis zu den Alpen. Selbst die Luftqualität war früher nicht besser, sondern vor der Einführung von europaweit geltenden Grenzwerten vielerorts mit Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Benzol und Blei belastet, so wie es auch Orkane, Überschwemmungen, Hitzewellen und Kälterekorde schon immer gab. Die Klimakrise ist keine Erfindung der letzten Jahre, sondern ein schleichender Prozess, der Gottseidank endlich in das öffentliche Bewusstsein gerückt ist. Und das Fernsehprogramm? Nun ja, bei lediglich drei Kanälen sind die einstigen „Perlen“ der deutschen Fernsehunterhaltung von Hans Joachim Kuhlenkampffs „Einer wird gewinnen“ über Rudi Carells „Am laufenden Band“ bis hin zu Hans Rosenthals „Dalli Dalli“ schnell aufgezählt. Gleichwohl würde für den Gewinn von ein paar elektrischen Haushaltsgeräten, ob Toaster oder Bohrmaschine, die bei Carell seinerzeit über das laufende Band rollten, heute kaum mehr einer seine Zeit opfern und Hans Joachim Kuhlenkampff wäre wegen seiner „altväterlich-charmanten, auf keine Anzüglichkeit verzichtenden Spielleitung“ wie 1980 bei der Verleihung des Medienpreises „Saure Gurke“ hervorgehoben wurde, heute vermutlich verdientes Opfer eines „shitstorms“ allererster Güte.

 

  Früher war alles besser

 

Woher kommt dann also unsere sentimentale Sehnsucht nach der guten alten Zeit? "Gerade in Krisen sehnen wir uns verstärkt nach Stabilität, und in der abgeschlossenen Vergangenheit meinen wir, sie zu finden“ sagt dazu der Mainzer Historiker Andreas Rüdder. Dabei ist Nostalgie meistens lediglich ein Zerrbild der Vergangenheit, das mit der Realität wenig zu tun hat. Dennoch: Positive Erinnerungen schützen unsere Seele und verhindern, dass wir depressiv werden. Es war früher also nicht wirklich besser als heute, aber alles war überschaubarer und damit einfacher. Neue Mode gab es zweimal im Jahr, das Auto wurde gefahren, bis es nicht mehr durch den TÜV kam, neue Parfums gab es alle zwei Jahre und einmal im Jahr freute man sich darauf, zu verreisen - wenn überhaupt. In der Schule trank man Kakao oder Milch und die Jeans kamen von Levis, Wrangler oder Mustang. Es gab keine logobepflasterte Designerkleidung, sondern höchstens Markenware, die man sich mit etwas Glück sogar leisten konnte. Und heute? Man kann in jedem beliebigen Kleinstadt-Supermarkt mindestens dreißig Minuten nur mit der Auswahl eines Joghurts verplempern und mehrere Monatsgehälter für eine einzige Designertasche ausgeben. Wir kaufen Dinge, die wir nie benutzen, konsumieren Menschen ebenso wie fremde Länder, schmeißen Sachen in den Müll, um sie nur wenig später fast genauso wieder anzuschaffen.

Psychologen haben festgestellt, dass eine zu große Auswahl uns nicht nur verwirrt, sondern sogar frustriert. Anstatt die unzähligen Optionen zu genießen, fühlen wir uns mit einer Entscheidung überfordert und kaufen mehr oder weniger lustlos entweder immer das Gleiche oder - in meinem Fall zunehmend - gar nichts. Deswegen freue ich mich mittlerweile über Empfehlungen, weil sie nicht nur Zeit sparen, sondern mich auch davor bewahren, eine ganze Kiste fauler Äpfel probieren zu müssen, nur um den Einen zu finden, der ok ist. Und je älter ich werde, desto mehr mag ich es, Vertrautes (wieder) zu entdecken: Marken, die Bestand haben und Wertigkeit ausstrahlen, Möbel, an denen ich mich auch in 20 Jahren nicht sattsehen werde, Parfums, die weder bizarr noch anstrengend sind, sondern einfach nur schön und ikonische Flakons mit Wiedererkennungswert. „Buy less, choose well, make it last“ ist ein berühmtes Statement von Designerin Vivienne Westwood. Wie Recht sie hat.

Christiane Behmann Christiane Behmann ist Diplom Sozialwissenschaftlerin und Texterin. Nachdem sie lange Jahre als Pressereferentin für verschiedene Unternehmen tätig war, wagte sie 2000 mit einer eigenen Werbeagentur den Schritt in die Selbständigkeit. 2007 gründete sie das „Archiv für Duft & feine Essenzen“ und war damals eine der ersten Bloggerinnen Deutschlands. Seit 2009 war sie außerdem Inhaberin vom Duftcontor in Oldenburg und arbeitet jetzt wieder in ihrem alten Beruf.


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