Herrensalon
Bis in die 1960er Jahre hinein hatte Männlichkeit eine glatte Oberfläche - zumindest für die, die es sich leisten konnten. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn Mann besuchte regelmäßig einen Herrensalon. Die Frisur scharf gescheitelt, das Gesicht sauber rasiert und on top ein Hauch von Rasierwasser - das waren die Insignien, die signalisierten, dass dieser Mann kultiviert ist und weiß, was sich gehört. Frauen hatten zu dieser sehr eigenen Welt keinen Zutritt. Der Herrensalon war eine männlich dominierte Sphäre, ein Rückzugsort und ein sozialer Treffpunkt.
Dabei ging es nicht nur um Körperpflege. Der Herrensalon war auch eine Bühne, auf der das Bild des idealen Mannes inszeniert wurde. Seit Ende des 19. Jahrhunderts und besonders in den 1930er bis 1960er Jahren verkörperte der Herrensalon das klassisch maskuline Ideal des bürgerlichen Mannes. Hier wurden nicht nur Haare geschnitten und Bärte gestutzt, sondern auch Meinungen ausgetauscht - über Politik, Sport, Wirtschaft oder Gesellschaft. Besonders die bürgerliche Mittelschicht pflegte an diesem Ort das Bild des „Gentleman“: Stets gepflegt, kultiviert und sozial angesehen. Arbeiter und Landbevölkerung hatten selten Zugang zu diesen Salons, während Adel und Oberschicht auf persönliche Diener und Barbiere zurückgriffen. Der Herrensalon war somit ein Spiegel bürgerlicher Urbanität und Statuspflege.
Neben Haarschnitten, oft inspiriert von Filmstars wie James Dean oder Musikern wie Elvis Presley, gehörte die Nassrasur mit dem Rasiermesser zu den Markenzeichen. Produkte wie Pomade, Tonic, Haarwasser und klassische Eau de Colognes prägten die Rituale. Rasierwasser - damals das Synonym für Männerduft - wurde übrigens nicht gesprüht, sondern mit den Handflächen ins Gesicht geklatscht. Und das musste ordentlich brennen. Denn: Nur die Harten kamen in den Garten.
Im Herrensalon wussten Männer, wer sie waren - oder ihnen wurde vermittelt, wie sie sein sollten. Doch mit den 1960er Jahren kam der Bruch: Jugendbewegungen, Hippiekultur und die Frauenbewegung stellten das traditionelle Männerbild infrage. Männer rasierte sich elektrisch und wollten nicht mehr wie Clark Gable aussehen, sondern wie Mick Jagger oder Jason King. Die 1980er Jahre markierten schließlich das Aus. Unisex-Frisuren und die Emanzipation führten dazu, dass Männer und Frauen denselben Friseur besuchten. Der klassische Herrensalon verschwand, zusammen mit dem Konzept der traditionellen Männlichkeit.
Doch in den frühen 2010er Jahren erlebte der Herrensalon eine Wiedergeburt – in Form moderner Barbershops. Inspiriert von Nostalgie und dem Interesse an klassischen Pflegeritualen, bieten diese neuen Salons eine stilvolle Mischung aus Retro-Design und zeitgemäßem Grooming. Mit dieser Renaissance rückten auch die klassischen Herrendüfte wieder in den Fokus: Seifige Noten mit Lavendel, Kräutern oder dem mandelartigen Aroma italienischer Rasierseifen. Gleichzeitig experimentieren Barbershop-Düfte mit rauchigen, holzigen Noten, die maskulin und mysteriös wirken sollen.
Doch warum der Erfolg? Ist dieses Revival bloße Nostalgie, ein Trendphänomen, das sich inszenierter Männlichkeit verschreibt? Oder steckt dahinter eine tiefere Sehnsucht nach einer klar umrissenen maskulinen Identität, wie sie einst in Herrensalons zelebriert wurde? Herbert Grönemeyer fragte einst: „Wann ist der Mann ein Mann?“ Vielleicht ist es gar nicht so kompliziert. Vielleicht genügt es, dass ein Duft, ein Rasierpinsel oder ein Moment der Pflege uns daran erinnert, dass Männlichkeit nicht in der Inszenierung liegt – sondern einfach im Sein.