Man sieht nur mit dem Herzen gut

Was ist B612? Ist es A: ein Vitamin der B-Gruppe. B: die Typenbezeichnung für eine Boing, C: ein Asteroid oder D. der Name eines Parfums? Da nur eine Antwort richtig sein kann, werden Sie spätestens jetzt wissen, dass es natürlich D., das Parfum ist. Benannt nach dem fiktiven Asteroiden B612, dem Heimatplaneten des kleinen Prinzen, der Hauptfigur des gleichnamigen Buches von Antoine de Saint-Exupéry. „Kaum größer als ein Haus“, wie der kleine Prinz in der Geschichte selber erzählt, ist er dort den ganzen Tag damit beschäftigt, die drei Vulkane zu reinigen und die wuchernden Affenbrotbäume herauszureißen. Dabei ist eine sprechende Rose seine einzige Gesellschaft. Kein Wunder also, dass er sich eines Tages auf den Weg macht, um nach Freunden zu suchen und seinen kleinen Mini-Planeten verlässt. Auf den benachbarten Asteroiden trifft er zunächst diverse, allerdings ebenso einsame und darüber hinaus nur mit sich selbst beschäftigte Menschen. Bis ihm schlussendlich ein Geograf empfiehlt, zur Erde zu reisen, um dort Freunde zu finden.

Es gab eine Zeit, da habe ich den kleinen Prinzen mindestens viermal pro Jahr geschenkt bekommen und - ehrlich gesagt - noch öfter verschenkt. „Der kleine Prinz“ ist nicht nur weltbekannt und viel gelesen, sondern auch - nach der Bibel und dem Koran - das in die meisten Sprachen und Dialekte übersetzte Buch. Ein Bestseller im wahrsten Sinne des Wortes. Darüber hinaus gibt es Tassen und Kissen, Regenschirme und Handyhüllen, T-Shirts und Bettwäsche mit Saint-Exupérys Zeichnungen vom kleinen Prinzen und seinen Reisebekanntschaften. Und es gibt natürlich die berühmten Zitate, ebenso universell wie zeitlos, dabei märchenhaft, aber auch etwas kitschig. Möglicherweise hat man sie aber auch einfach nur zu oft in Poesiebüchern und auf Grußkarten gelesen? Schwer zu sagen. Jedenfalls ging 2010 ein naserümpfender Banalitäts-Aufschrei durch die Feuilletons der Republik, weil der damalige Bundespräsident Christian Wulf „Der Kleine Prinz“ als das Buch nannte, das er mit auf die berühmte einsame Insel nehmen würde. Sagen wir’s mal so: Es gibt sicher Bücher, an denen man länger zu lesen hat und die irgendwie präsidialer wirken. Dennoch, Saint-Exupérys 94-seitiges Kunstmärchen als Kinderbuch abzutun, wäre zu einfach. Denn man kann das Buch durchaus auch als Kritik an der Oberflächlichkeit der Konsumgesellschaft und am allgemeinen Werteverfall interpretieren.

 

B-612 Nishane

 

„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“ sagt der Fuchs zum kleinen Prinzen und liefert damit eines der beliebtesten Zitate, das man heutzutage nicht selten verkaufsfördernd auf Partnerschaftsportalen findet. Andererseits ist es gerade in Zeiten von Fake news und selbsternanntem Expertentum nicht das Schlechteste, auch unter die glänzende Oberfläche und hinter die Fassade zu schauen. Leider neigen wir dazu, mittlerweile selbst bei banalen Fragen des täglichen Lebens nicht mehr auf unser „Bauchgefühl“ zu hören, sondern befragen stattdessen lieber Google, hören auf Pseudo-Experten und schauen Youtube-Tutorials. Wir entscheiden uns nicht einfach so für einen neuen Staubsauger, weil er uns gefällt, ohne nicht mindestens fünf Bekannte nach ihren persönlichen Erfahrungen befragt oder vier Jahrgänge „Stiftung Warentest“ zu Rate gezogen zu haben. Tag für Tag werden wir von Tipps und Ratschlägen überflutet, vom perfekten Apfelkuchen bis zur perfekten Partnerschaft. Wir durchforsten dämliche Liedsequenzen auf der Suche nach dem angesagten Instagramsound für mehr Reichweite und werden dabei ungewollt von den fünf besten Date Night-Parfums, den richtigen Schuhen zur Wide-Leg-Jeans und den sechs ultimativen Hotspots fürs Geldausgeben in Dubai überrollt.

Mit Information hat das Ganze nichts tun, sondern eher mit einem unablässigen Strom der Manipulation und penetrativen Werbung. Bevor ich mir halbwegs fundiert eine Meinung bilden kann, bin ich so genervt von den Dauerwerbesendungen, dass ich total abschalte. Verstehen Sie mich nicht falsch, wir reden hier nicht über einen Hauskauf, die Altersvorsorge oder sonstige Entscheidungen mit Tragweite für die nächsten 30 Jahre des Lebens. Darüber sollte man durchaus nachdenken und sich grundlegend informieren. Nein, ich meine die eigentlich banalen Dinge des Alltags. Dinge, die uns das Leben erleichtern und Spaß machen sollen. Entscheidungen über das abendliche Essen oder das Geburtstagsgeschenk für die beste Freundin, eben Dinge für die man weder einen Arbeitskreis bilden noch eine Videokonferenz einberufen muss. Dinge eben, die man einfach so für sich aus dem Bauch heraus entscheiden kann und sollte. Und wenn es eine falsche Entscheidung ist? Nun, dann ist das eben so. No risk, no fun, oder? Wer, wenn nicht wir selbst, weiß am allerbesten, was gut für uns ist. In diesem Sinne, schauen Sie einfach öfter mal mit dem Herzen und zwar spontan und vor allem mit dem eigenen.



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