Schöne neue Welt

Als ich 1997 meine allererste email an meine Freundin Petra nach Dänemark schickte und gefühlte drei Sekunden später eine Antwort erhielt, war es um mich geschehen. Das Internet war für mich die tollste Sache der Welt und die bemerkenswerteste Erfindung, die ich jemals erlebt hatte. Und obwohl die damaligen Nutzungsmöglichkeiten mehr als überschaubar und zudem mega langsam waren, war das Geräusch des Modems beim Einwählen ins Netz für mich der Soundtrack einer neuen Welt. Als zudem kurze Zeit später die ersten onlineshops bereitstanden, war meine Internetwelt perfekt: Ab sofort musste ich Dank „Aus Liebe zum Duft“ für meinen Lieblingsduft von Comme des Garcons nicht mehr nach Hamburg fahren, und bei ebay konnte man damals die tollsten Sachen ersteigern. Eine aufregende neue Welt eröffnete sich.

1932 veröffentlichte Aldous Huxley seinen Roman „Brave New World“. Damals konnte sich keiner auch nur im Ansatz vorstellen, dass seine im Jahr 2540 angesiedelte Zukunftsvision in vielerlei Hinsicht schon weitaus eher Realität werden sollte. In Huxleys Roman lebt die Menschheit nach einem neun Jahre andauernden Krieg und anschließendem Kollaps der Weltwirtschaft in einer Art globalem Einheitsstaat. Jeder Bürger gehört einer von fünf (gezüchteten) Gesellschaftsschichten an. Oberstes Ziel und höchstes Gut sind ein genormtes Glück und konditionierte Zufriedenheit, u.a. durch fortwährenden Konsum und die staatlich verabreichte Droge „Soma“. Zwar gibt es weder Krankheit noch Elend, jedoch haben Kreativität, Empathie oder individuelle Freiheit ebensowenig eine Chance. Das klingt - zumindest in Ansätzen - irgendwie vertraut, oder?

 

Schoene neue Welt

 

2004 klaute Mark Zuckerberg die Idee für Facebook von zwei seiner Harvard-Kommilitonen. Er perfektionierte die Grundidee einer studentischen Plattform für Harvard und schuf letztendlich eine gigantische Datenkrake und ein Paralleluniversum zum realen Leben; Suchtpotential inklusive. Ich erinnere mich noch gut, wie begeistert ich Anfang 2010 über die Möglichkeiten war, die sich durch Facebook für mich auftaten. Alte Freunde, die ich lange nicht gesehen hatte, tauchten unvermutet wieder auf. Dank Facebook konnte ich meine Duftcontor-Kunden über neue Parfums informieren und sparte so das Geld für teure Anzeigen. Aber ich wunderte mich auch über wahllose Freundschaftsanfragen von Menschen, deren Namen ich noch nie gehört hatte, über Mengen langweilig fotografierter Essensteller, über Ehepaare, die sich gegenseitig via Facebook zum Hochzeitstag oder zum Geburtstag gratulierten, über alte FreundInnen, die augenscheinlich wieder gern zu meinem Freundeskreis gehören wollten, es dabei jedoch nicht für nötig hielten, sich nur einmal kurz mit einer Nachricht zu melden und letztendlich wohl nur neugierig waren. Dafür gab es dann andere, die bereits nach kurzer Zeit anfingen, mich quasi zu stalken und mit persönlichen Nachrichten zuspamen. Mit anderen Worten, Facebook für den Laden zu nutzen war ok, für mich persönlich war es nichts. Ganz anders hingegen empfand ich dann Instagram. Hier war es leicht, sich einerseits mit Gleichgesinnten aus aller Welt auszutauschen, und - obwohl es unverbindlicher erschien - war Instagram wesentlich kommunikativer und reaktiver. Und damit weniger langweilig. Und dann gab es natürlich noch die berühmten Filter, die jedes banales Foto als Kunstwerk erscheinen ließen.

Dabei gab es 2014 nur wenige Regeln, die man kennen musste: 1.) Instagram ist ein „Geben und Nehmen“, erwartet man selber Aufmerksamkeit für seine Bilder, muss man sie seinerseits auch verteilen; 2.) Kühle, „blaue“ Fotos funktionieren am besten; 3.) Viele Dinge auf einem Foto sind besser als ein einziger Gegenstand; 4.) Bekannte Luxusmarken bekommen mehr Aufmerksamkeit. 5.) Nur die Kommentare und likes innerhalb der ersten Std. zählen für die Reichweite. Mit einem Zeitaufwand von maximal einer Std. pro Tag (was mir allerdings schon recht viel erschien) kam man locker hin. Das war für mich ok, denn schließlich mochte ich, was ich sah und Werbung gab es auch noch nicht. Das Foto oben ist übrigens mein erfolgreichstes in 14 Jahren (vgl. Regel 2 bis 4) Und dann kam der berüchtigte Algorithmus und veränderte letztlich alles. Von da an entschied eine künstliche Intelligenz, was ich gerne sehen möchte, weil sie sich merkt, was ich anschaue und was nicht. Bedauerlicherweise lernt der Algorithmus nicht, warum ich mir etwas anschaue. So hat mich Instagram beispielsweise wochenlang mit Ferienhäusern an den Küsten Skandinaviens malträtiert, nur weil ich mir im Zuge der Urlaubsplanung ein paar Fotos angeschaut hatte. Natürlich hatte ich in der Zwischenzeit längst gebucht und somit null Bedarf für weitere Inspirationen. Ein zweites Highlight war eine endlose Parade von Balaclavas, weil mich ein Freund auf ein besonders bescheuert aussehendes Exemplar inkl. Vollkörperstrickanzug aufmerksam machen wollte. Wer’s nicht weiß: Balaclavas sind eine Art - zumeist gestrickte - Sturmhaube, die leider den allerwenigsten Menschen gut stehen. Immer seltener zu sehen bekam ich hingegen die Fotos der Menschen, denen ich folgte und das galt leider im Gegenzug auch für meine Fotos, die zunehmend unbeachtet im Nirvana verschwanden. Wäre ja nicht so schlimm, weil man’s ja in erster Linie für sich selber macht und nicht für andere!? Am schlimmsten ist allerdings, dass der Algorithmus unterdessen ausschließlich Quantität belohnt und das wiederum bedeutet, dass sehr viele User mehrmals pro Tag eine endlos erscheinende Reihe fast identischer Fotos hochladen, und man sich Tag für Tag erstmal durch dieses fotografische Einerlei kämpfen muss. Das wiederum erhöht den eigenen Zeitaufwand erheblich und mindert im Gegenzug die Freude überproportional. Irgendwann habe ich bei mir beobachtet, dass ich mich wie ein erfolgloser Spieler verhalte. Obwohl ich theoretisch weiß, dass die Chancen auf einen Gewinn gleich null sind, kann ich mich nicht davon lösen, zumal ich ja auch bereits soviel Arbeit und Mühe investiert habe. Spätestens dann fängt man an, sich mit anderen zu vergleichen, sich gestresst, schlecht und unbegabt zu fühlen. Ein Teufelskreis wie bei jeder anderen Sucht auch.

Meine Anfangseuphorie das vielgerühmte „world wide web“ betreffend, ist nach mehr als zwanzig Jahren weitestgehend desillusioniert und verflogen. Was anfänglich immens zeitsparend war und Spaß machte, gestaltet sich mittlerweile in allen Bereichen als Zeiträuber allererster Güte. Real existierende Kontakte geraten oftmals in Vergessenheit und werden durch eine vermeintliche Nähe im virtuellen Raum ersetzt. Soziale Medien wie Facebook, Instagram, whatsapp, Twitter, Tik tok und wie sie alle heißen, sind heute Parallelexistenzen von aktuell geschätzten 4,62 Milliarden Menschen. Kriege werden quasi in Echtzeit online geführt, Wahlen manipuliert, verloren oder gewonnen, Existenzen vernichtet und geschaffen. Richard David Precht sagte dazu unlängst: „Wer in der realen Welt keine Anerkennung mehr über das Berufsleben bekommt und sich abgehängt fühlt, kann einfach in die virtuelle Welt eintauchen und sich dort all das holen, was er im echten Leben vermisst. Ich denke schon, dass es Menschen gibt, die sagen: Das könnte einen sehr nützlichen Dienst dafür tun, dass die Menschen nicht rebellisch werden und die Nicht-mehr-Gebrauchten auf den Arbeitsmärkten der Zukunft einfach in ein digitales Nirvana geschickt werden, in dem sie glücklich werden.“ Schöne neue Welt.

Lassen wir es nicht soweit kommen. Ich jedenfalls verordne mir mittlerweile immer mal wieder eine Pause und umgebe mich bewusst mit Realität statt mit Virtualität. Und ich fühle mich zusehends gut dabei, nicht immer auf dem Laufenden zu sein und manche Dinge auch einfach mal zu ignorieren.

Christiane Behmann Christiane Behmann ist Diplom Sozialwissenschaftlerin und Texterin. Nachdem sie lange Jahre als Pressereferentin für verschiedene Unternehmen tätig war, wagte sie 2000 mit einer eigenen Werbeagentur den Schritt in die Selbständigkeit. 2007 gründete sie das „Archiv für Duft & feine Essenzen“ und war damals eine der ersten Bloggerinnen Deutschlands. Seit 2009 war sie außerdem Inhaberin vom Duftcontor in Oldenburg und arbeitet jetzt wieder in ihrem alten Beruf.


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