Suchtstoff

„Warnung: Dieser Text enthält Trigger, d.h. Auslöser von Erinnerungen oder Flashbacks. Die genannten Beispiele können bei manchen Menschen Suchtgefühle auslösen.“ Im Folgenden geht es um einem Suchtstoff erster Güte, es geht um Vanille. Und zwar nicht um dieses synthetisch im Labor hergestellte, klebrig süße Etwas, das man als Aroma in den Kuchenteig schüttet, sondern um die Vanille in ihrer edelsten Form.

Ursprünglich aus Mexiko stammend, befinden sich die Hauptanbaugebiete der Bourbon Vanille heutzutage vornehmlich auf Madagaskar und der französischen Überseeinsel La Réunion (früher Île Bourbon) sowie, in einem geringeren Maße, auf Tahiti. Bei der Vanille geht es vor allem um die länglichen, dunkel ledrigen Kapselfrüchte der gleichnamigen Orchidee und damit um einen sehr teuren Rohstoff, den viele auch als Königin der Gewürze bezeichnen. Der Grund: Für ein Kilogramm des begehrten Stoffes mit dem typischen, cremig süß-würzigen Aroma, müssen ca. 40.000 Blüten der Vanille-Orchidee bestäubt werden. Erst nach vier Jahren produziert die Pflanze das erste Mal die bis zu 30 cm langen, grünen Schoten, die nach neun Monaten Reifezeit geerntet, blanchiert und anschließend wochenlang in der Sonne zunächst getrocknet werden und dann in Holzkisten ausreifen müssen. In der Regel erfolgt die Bestäubung heutzutage zumeist in mühsamer Handarbeit, denn die Bienenvölker und Kolibris, die dies früher auf natürlichem Wege erledigten, sind dank Klimawandel leider nicht zahlreicher geworden, ganz im Gegensatz zum gewaltig gestiegenen Bedarf an hochwertiger Ware in der Gastronomie sowie in der Lebensmittel- und Kosmetikindustrie. Funfact am Rande: Der größte Abnehmer von Vanille ist bis heute Coca Cola, nachdem 1985 der Versuch, die echte Vanille durch synthetisches Vanillin zu ersetzen, am Widerstand der Verbraucher kläglich scheiterte.

 

 

Da stellt sich natürlich die Frage, warum fliegen wir eigentlich alle so auf den Duft von Vanille? Ganz einfach: Wir haben den Duft buchstäblich bereits mit der Muttermilch eingesogen. Muttermilch schmeckt nach Vanille, ergo bedeutet Vanille für uns Geborgenheit. Eine Studie mit stillenden Müttern, die mit der Nahrung zusätzlich Vanilleextrakt zu sich nahmen, stillten beispielsweise im Schnitt um 25 Prozent ausgiebiger, weil den Babies die süßliche Vanillenote in der Muttermilch offensichtlich sehr gefiel. Ein Umstand, den sich natürlich die Hersteller von Säuglingsnahrung und Fertigmilch zunutze machen, indem sie eine Extraportion Vanille beimischen. Und wenn bereits Muttermilch und Babypuder nach Vanille duften, von tröstendem Vanillepudding, leckerer Eiscreme und Weihnachtsgebäck mal ganz abgesehen, ist es kein Wunder, dass der warme Duft von Vanille pures Wohlbehagen in uns auslöst. Das gilt im Übrigen für Männer wie Frauen gleichermaßen. Darüber hinaus bleiben wir offenbar ein Leben lang im Training, denn wir essen sie im Prinzip täglich, da 95 Prozent aller verarbeiteten Lebensmittel Vanillin enthalten. Vanille macht uns glücklich, so glücklich, dass Probanden, die als Säuglinge mit vanillisierter Folgemilch ernährt wurden, in einem Versuch selbst Ketchup mit Vanillenote lieber aßen als den normalen Ketchup. Und weil Männer wie Frauen Vanille lieben, „riechen alle Huren der Welt nach Vanille“, behauptet zumindest der New York Times Duft-Kritiker Chandler Burr. Inwiefern diese Erkenntnis nun aus berufenem Munde kommt, sei mal dahingestellt.

Nichtsdestotrotz ist Vanille fraglos einer der am meisten verwendeten Duftstoffe in Parfums. So listet z.B. die Datenbank parfumo.de aktuell 5767 Düfte mit dieser Duftnote. Selbstredend ist gerade in Düften Vanille nicht gleich Vanille. Von der klebrig süßen Chemiekeule für kleines Geld bis zum exquisit cremigen Luxusobjekt, gibt es nichts, was es nicht gibt. Ob eher fruchtig florale Interpretationen wie von Van Cleef & Arpels und Parfums MDCI Paris, das pudrig weich einhüllende „Aura Sublime“ oder der dunkel samtige, oudige Vanilleduft von Montale bis hin zur lecker schokoladigen Variante von Profumum Roma. Es gibt komplexe Vanille-Kunstwerke, beispielsweise von Casamorati mit deliziöser Zitrusnote oder als sanfte Untermalung im likörig beschwipsten „Fairground Tempation“ von Jean Poivre. Und last, but not least ist da noch der pure Stoff, den man beispielsweise mit Xerjoffs „Allende“ und vor allem bei meinem ewigen Vanille-Favoriten „Tihota“ von Indult in buttrig cremiger Perfektion auf der Haut schmelzen lassen kann … mhhhh! Und sagen Sie jetzt bitte nicht, dass Sie nicht gewarnt wurden.

Christiane Behmann Christiane Behmann ist Diplom Sozialwissenschaftlerin und Texterin. Nachdem sie lange Jahre als Pressereferentin für verschiedene Unternehmen tätig war, wagte sie 2000 mit einer eigenen Werbeagentur den Schritt in die Selbständigkeit. 2007 gründete sie das „Archiv für Duft & feine Essenzen“ und war damals eine der ersten Bloggerinnen Deutschlands. Seit 2009 war sie außerdem Inhaberin vom Duftcontor in Oldenburg und arbeitet jetzt wieder in ihrem alten Beruf.


Verwandte Produkte