Über das Verschwinden von Parfums und die Kunst, loszulassen

Es beginnt meist leise, wenn ein Parfum verschwindet. Erst ist es ausverkauft, dann länger nicht lieferbar. Irgendwann taucht es nur noch in fragwürdigen Online-Shops auf – zu abstrusen Phantasiepreisen auf eBay. Und plötzlich dämmert es: Der Duft ist weg! Dieser eine Duft, den man geliebt hat, den man getragen hat wie eine zweite Haut, wird nun zur stillen Katastrophe für alle, denen Parfum mehr bedeutet als nur ein Accessoire – nämlich Erinnerung, Identität, Nähe und Ritual. Was folgt, ist eine fiebrige Suche nach Ersatz: ein Duplikat, eine Kopie oder zumindest ein Fragment, das sich so anfühlt wie das Original. Etwas, das zumindest annähernd so riecht wie der Eine damals. Oder wie man selbst damals war?

Doch diese Suche ist meist von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Nicht nur, weil sich ein Duft kaum exakt rekonstruieren lässt – zu fein, zu komplex sind die Nuancen von Herkunft, Dosierung und Struktur. Schon kleinste Abweichungen verändern die gesamte Architektur eines Parfums: Ein Akkord, der in der Kopfnote strahlt, wirkt anders als einer, der in der Basis ausklingt. Vor allem aber scheitert der Ersatz daran, dass der vermisste Duft in unserer Erinnerung längst zu etwas anderem geworden ist: Idealisiert, verklärt, psychologisch aufgeladen mit all dem, was wir mit ihm verbinden. Kein neuer Duft kann gegen dieses innere Monument bestehen. Jeder Kandidat scheitert am Bild, das nicht mehr der Realität gehört – sondern der Sehnsucht.

 

Auswahl an Parfums

 

Was dabei oft übersehen wird, ist das strukturelle Paradoxon dieser Verlusterfahrung. Auf der einen Seite: Gewinnorientierte Unternehmen, die auf einen schnelllebigen Markt reagieren – mit limitierten Editionen, Neulancierungen und kalkulierter Verknappung. Über 50 % der neu eingeführten Düfte verschwinden innerhalb weniger Jahre wieder aus dem Sortiment. Der wirtschaftliche Druck erzwingt Fluktuation: Trends wollen bedient, Markenbilder geschärft und Produktionskosten gesenkt werden. Gleichzeitig soll ein Duft in einer übersättigten Branche zugleich den Eindruck von Einzigartigkeit und Innovation vermitteln und die gesamte Klaviatur der Emotionen bespielen. Auf der anderen Seite stehen die Konsumenten, grob unterteilt in vier Gruppen. Zum einen Käufer:innen, für die Parfum ein alltägliches Accessoire ist – es soll gefallen, auffallen, gut riechen. Dann die Duftliebhaber:innen, die tiefer eintauchen, sich für Kompositionen, Rohstoffe und Markenästhetik interessieren. Schließlich die Sammler:innen, die Parfums als Kulturgut begreifen – sie bewahren, katalogisieren, investieren. Und nicht zuletzt jene, für die ein Duft keine kurzfristige Lifestyleentscheidung ist, sondern ein olfaktorischer Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Jede Gruppe folgt ihrer eigenen Duftspur – mit ganz unterschiedlichen Erwartungen an das, was ein Parfum sein kann. Dabei ist ein Parfum – technisch gesehen – nichts weiter als Alkohol mit ein paar Duftstoffen. Und doch wird kaum ein anderes Produkt so konsequent emotional aufgeladen. Werbung und Sprache versprechen Sinnlichkeit, Freiheit, Identität. Der Flakon wird zur Bühne, der Duft zur Geschichte. Und wir als Konsumenten? Wir glauben diese Geschichten. Mehr noch: Wir machen sie zu unseren eigenen. So wird ein Duft Teil unserer Biografie, unseres Körpers, unserer Stimmung – manchmal sogar unserer Identität.

Vielleicht ist es – gerade angesichts eines immer schnelleren Marktes – an der Zeit, eine neue Haltung zu entwickeln. Wenn ein geliebtes Parfum verschwindet, ist es ratsam, nicht lange nach Duplikaten zu jagen – denn sie existieren ohnehin nicht. Besser ist ein bewusster, würdevoller Abschied. Das bedeutet: Den letzten Tropfen nicht aufsparen wie eine Reliquie, sondern den Duft ein letztes Mal bewusst tragen und zelebrieren, bevor er gekippt ist - denn das passiert über kurz oder lang, wenn sich in einem Flakon mehr Luft als Duft befindet. Der Verlust eines Lieblingsduftes ist mehr als der Rückzug eines Produkts aus dem Regal – es ist der Verlust eines Gefühls, eines Selbstbilds, eines emotionalen Ankers. Statt also einem Imitat hinterher zu jagen, könnten wir beginnen, weiterzudenken. Manche Parfums fangen ein Gefühl ein – nicht als Kopie, sondern als Echo. Wenn wir einen neuen Duft suchen, klammern wir uns oft an einzelne Duftnoten: „Da war Patchouli drin" – also sucht man Patchouli. Oder: „Ich brauche etwas mit grünem Pfeffer.“ Doch so funktioniert ein Duft nicht – zumindest nicht auf der Haut, im Kopf und im Herzen.

Was wir in Wahrheit suchen, ist nicht der Inhaltsstoff, sondern die Stimmung. Baudelaire von Byredo beispielsweise wird nicht vermisst, weil er Lavendel, Weihrauch und Patchouli kombinierte – sondern weil der Duft eine kühle, grüblerische Distanz vermittelte, eine Art parfümierte Poesie. Ähnlich einem literarischen Fragment von Rimbaud auf der Haut. Ein Gefühl, das z.B. auch Bibliothèque von Byredo transportiert.

Bei der Suche nach einem neuen Duft darf man intuitiv sein. Nicht die Duftnoten sind entscheidend, sondern die Frage: Fühlt sich dieser Duft so an wie mein verlorener? Erinnert er an Eleganz am frühen Morgen, an das Knistern von Gewürzen in der kalten Luft, an eine unbeschwerte Zeit im Süden? Deshalb hilft es, nicht in Duftnoten zu denken, sondern in Stimmungen. Nicht „Jasmin plus Moschus“ zu denken, sondern an das Gefühl, das bleibt. Und manchmal findet man dann genau das in einem ganz anderen Akkord – und in einem Duft, den man möglicherweise sonst nie in Betracht gezogen hätte.