Verpackungswahn
Kennen Sie #unboxings? Unboxing nennt man das Auspacken verpackter Waren vor laufender Kamera; ein beliebter Tend auf youtube, Instagram und TikTok. Wenn Sie also schon immer mal wissen wollten, wie eine 10.000 Euro teure Designertasche verpackt ist, hier wird ihre Neugier reichhaltig befriedigt. Das gilt natürlich nicht nur für Designertaschen, sondern für alles Mögliche und vor allem auch für Parfums. Und bevor Sie mich falsch verstehen: Ein schön verpacktes Geschenk auszupacken, ist großartig und macht Spaß. Ob der Spaß allerdings ebenso groß ist, wenn man anderen dabei zuschaut,
wie sie im Schneckentempo ihr neues Handy auspacken, möchte ich mal bezweifeln. Immerhin dient es halbwegs der Information und der geneigte Käufer weiß somit, was ihn en detail erwartet. Wie groß allerdings der Informationswert von klodeckelgroßen, behaarten Hände, die mit den Fingern zärtlich über eine Pappschachtel streichen oder von ungepflegten Wurstfingern, die enervierend geräuschvoll versuchen “ästhetisch” eine Zellophanierung zu entfernen, weiß ich ehrlich gesagt nicht so wirklich. Da kann ich schon eher den Reiz nachvollziehen, den gut manikürte, rote Endlosnägel bei manchen (vornehmlich männlichen) Zeitgenossen auslösen, wenn sie in slow motion einen neuen Duft “entblättern”. Die dabei entstehenden Geräusche nennt man übrigens „Autonomous Sensory Meridian Response“ (ASMR). Geräusche, die auf sensible Menschen nicht nur beruhigend wirken und ein wohliges Gefühl auf der Haut auslösen, sondern den geneigten Zuschauer und -hörer tiefenentspannt ins sensorische Nirvana entführen sollen. Versteht sich von selbst, dass auch „ASMR“ ein Trend ist.
Aber abgesehen von langweilig abgefilmten Unboxings, schätze ich hübsche Schachteln und Verpackungen ebenso wie gut designte Flakons. Umgekehrt wird natürlich auch ein Schuh draus: Ein faszinierend schöner Duft in einer hässlichen oder lieblosen Verpackung, geht für mich gar nicht. Abfüllungen in braunen Apothekerfläschchen mögen zum Testen eines Duftes praktisch sein - mein Ding sind sie nicht . Für mich spielt die Verpackung eine ebenso entscheidende Rolle in der Bewertung des Gesamtkonzeptes eines Parfums wie der Duft selber. Immerhin ist die Schachtel das Erste, was man in den Händen hält und deshalb marketingstrategisch nicht selten spektakulärer als der Flakon. Gutes Design bedeutet für mich jedoch nicht nur Ästhetik, sondern auch Funktionalität. Ich ärgere mich einfach über Verpackungen, die nur mit einer Bedienungsanleitung zu öffnen sind, über „grobe“ Zerstäuber, deren Sprühstoß einen ganzen Raum kontaminieren, über Kappen, die entweder klemmen oder im Gegenzug ständig runterfallen. Und ich ärgere mich über Kartonagen, die bereits nach kurzer Zeit kaputt oder unansehnlich sind und leicht anschmutzen.
Meine Kriterien für ein gutes Parfum sind eigentlich ganz simpel. Das Gesamtkonzept muss mich überzeugen und das beinhaltet neben der Duftkomposition auch den Flakon, die Verpackung sowie das sog. Storytelling - die Geschichte oder Inspiration. Ein Duft, der beispielsweise wie der Kleiderschrank der Großmutter von wem auch immer duftet, wäre für mich ein „no go“, denn ich möchte nicht mal wie der Wäscheschrank meiner Großmutter riechen. Überhaupt finde ich Erinnerungen an Urlaube, die ich nie erlebt habe, Celebrities, die diesen Duft tragen oder getragen haben, oder überhaupt Ereignisse, an die ich mich weder erinnere, geschweige denn teilgenommen habe, überaus uninteressant und langweilig. Meine Meinung dazu: Wenn ein Duft keine Geschichte hat, muss man ihm auch keine andichten. Die spanische Marke 27 87 zeigt beispielhaft, wie gut das geht, indem Themen aus dem aktuellen Zeitgeist mit einem modernen, puristischen Design verbunden werden. Oder nehmen Sie die „Portraits“ Kollektion von Penhaligon’s mit skuril schrulligen Geschichten und Figuren, die direkt dem Kosmos des britischen Downton Abbey Adels entsprungen zu sein scheinen. Das Ganze in einer Box, die so detailreich und liebevoll gestaltet ist, dass man gar nicht sagen kann, was am besten ist: Die Parfums, die Geschichten, die Flakons oder die Box. Jedes für sich ist einzigartig, aber als Gesamtkonzept ist es einfach genial. So genial, dass man - wenn überhaupt - eigentlich nur noch eine Schleife braucht, um ein unvergessliches Geschenk draus zu machen.