Vom Geheimtipp zum Hype: Parfums erobern die Männerwelt
Früher sorgten vor allem Frauen, die auf der Suche nach dem ultimativen Duft zur Ergänzung ihrer Persönlichkeit waren oder den unbedingten Willen zur Optimierung ihrer äußeren Werte hatten, für den Umsatz in der Beautybranche. Das klingt nach dem letzten Jahrhundert – und ist es auch. Mit dem Aufkommen der Nischenparfümerie vor rund 20 Jahren hat sich dies grundlegend verändert. Waren es zunächst nur wenige Männer, die damals für sich oder ihre Frauen einen Duft kaufen wollten und erstmal froh waren, eine Parfümerie gefunden zu haben, die nicht „wie bei Douglas roch“, so goutierten sie darüber hinaus, dass ihnen nun seltene Parfums in einem Ambiente kredenzt und präsentiert wurden, das so gar nichts von Massenabfertigung hatte. Plötzlich entdeckten selbst Männer, die sich damit rühmten, nur „Wasser und CD“ oder bestenfalls Rasierwasser an ihre Haut zu lassen, ihre Liebe zum Duft.
Befeuert von Blogs und Internetforen wie parfumo.de ging es nun nicht mehr darum, nur einen passenden Duft zu finden, sondern um einen Erlebniskauf der besonderen Art. Der gemeine Duft-Aficionado erblickte das Licht der Welt, und türkise Riesen und Kaufhäuser mutierten zum natürlichen Feindbild. Mann war plötzlich Teil einer Community, die Parfums ebenso wie den Service im Fachhandel bewertet und rezensiert sowie die eigene Duftsammlung nebst Expertise, Vorlieben und Abneigungen im Netz präsentiert. Im Verbund mit den ersten Bloggern entstanden so erstmalig Hypes, und Onlineparfümerien wie „Aus Liebe zum Duft“ spezialisierten sich darauf, die elitären Duft-Experten mit Raritäten zu bedienen. Soweit, so gut.
Der unaufhaltsame Aufstieg der sozialen Medien ab 2010, zunächst mit Facebook, dann Instagram und schließlich TikTok, ließ den Markt explodieren. Marken wie Byredo waren auf einmal „instagramable“, das heißt, sie sahen auf Fotos gut aus, und Aventus von Creed stieg innerhalb kürzester Zeit vom Geheimtipp zu einem weltweiten Phänomen und zur unangefochtenen Nummer eins in der Männerwelt auf. Plötzlich standen Zwölfjährige am Tresen und wollten diesen einen Duft testen oder – weil überall ausverkauft – am besten gleich kaufen. Was war passiert? Statt Vogue, InStyle und GQ als Lifestyleinformationsquelle, gab es plötzlich Influencer. Eine Armee selbsternannter Duftexperten kreierte nun die Trends und Must-haves und befeuerte diese nachhaltig.
Allen voran Jeremy Fragrance, damals der erste seiner Art und sicherlich bis heute der Bekannteste, wenn auch nicht der Beliebteste. Als dann wirklich gefühlt jeder Zweite Aventus entweder für gut oder schlecht befunden hatte, stand Rouge 540 von Maison Francis Kurkdjian längst in den Startlöchern. Gleichzeitig wurde die Nische allmählich zum Luxusmainstream, und Ketten sowie Kaufhäuser wollten sich das Geschäft selbstredend nicht entgehen lassen. Das Ergebnis: Creed und Kurkdjian stehen nunmehr einträchtig neben Gucci und Dior in den Regalen – auch weil die Beautykonzerne begannen, alles aufzukaufen, was nicht bei drei auf dem Baum war.
Heute geben sich Duft-Hypes ebenso wie die Influencer die Klinke in die Hand. Auf Rouge 540 folgten Erba Pura und Arabians Tonka, und nach Jeremy Fragrance setzen derzeit Duftexperten wie Max.Aoud, Willie.Scents oder Angelina.Patchouli den Ton. Übrigens, ein Schelm, wer bei diesen Namensähnlichkeiten etwas Böses denkt. Und die eleganten Ladies, die sich nach wie vor gerne am Wochenende mitsamt VIP-Kundenkarte in den Parfümerieabteilungen der Luxuskaufhäuser treffen? Die wechseln mitunter verschreckt die Location, weil ganze Horden Halbwüchsiger die Beautyabteilungen entern, um den besten „Pantydropper“ und „Dosenöffner“ zu testen oder am besten sofort zu kaufen.
Aber es gibt einen Silberstreif am Horizont: Neben all den YouTube-Philosophen mit ihren pseudo-tiefgründigen Monologen über komplizierte Duftakkorde und Basisnoten, die nach goldenem Herbst oder frischem Geld riechen, den TikTok-Dampfplauderern, die es schaffen, in 60 Sekunden eine Flasche in die Kamera zu halten, drei schnelle Spritzer zu machen, zu tanzen, eine Handvoll Emojis in die Luft zu werfen und das Ganze mit einem knackigen „Das riecht nach Erfolg!“ abzurunden, sowie den Fotokünstlern auf Instagram, die sich mehr Gedanken über ein mystisches Zitat in der Überschrift und das perfekte Foto des Flakons neben einem Becher Kaffee und sorgsam drapierten Lavendelblüten machen (Hauptsache, es stimmt die Ästhetik), hat der ganze Hype um die neue Zielgruppe „Mann“ glücklicherweise auch den „Duft-Connaisseur“ hervorgebracht. Männer, die sich ernsthaft für das Thema Duft interessieren und ein Parfum wollen, das zu ihnen und ihrem Lifestyle passt, aber nicht an jeder Gießkanne zu haben ist. Männer, die auf der Suche nach Ihrem persönlichen „Heiligen Gral“ bereit sind, dafür auch Geld zu investieren. Männer, die beispielsweise die Düfte von Marc Antoine Barrois oder Penhaligons kaufen. Was sie allerdings allesamt vereint: Die Parfums müssen intensiv und deutlich wahrnehmbar sein.