Der beliebteste Duft der Welt

Tadaaa, es ist amtlich: Baccarat Rouge 540 von Maison Francis Kurkdjian ist der „beliebteste Duft der Welt“. Zumindest ist er das gemäß eines im Mai veröffentlichten Rankings der britischen Online-Plattform „Hey Discount“. Zugrunde gelegt wurde dabei eine Auswertung der Google-Suchanfragen, die Anzahl der TikTok-Views sowie die Menge der Instagram Hashtags im Laufe eines Jahres. Mit einem Ergebnis von 9.52 von 10 Punkten hatte Baccarat Rouge 540 mit knapp sechs Millionen Suchanfragen, weit über 100 Millionen Tik Tok Views und mehr als 200.000 Instagram Posts die Nase vorn - vor Sauvage von Dior und Chanel No 5 auf den Plätzen zwei und drei.

Als Sozialwissenschaftlerin gebe ich auf Rankings, Hit- oder Ranglisten im Prinzip nicht besonders viel. Es sei denn, man nimmt sie nicht so ernst, sondern betrachtet sie eher als Unterhaltung und Small-Talk-Material. So sagt beispielsweise auch dieses Ranking im Wesentlichen nicht mehr aus als: Baccarat Rouge 540 ist der Duft, der 2021 im Netz das größte Interesse verursachte. Über die Qualität des Duftes, die Zahl der tatsächlichen Benutzer und deren Zufriedenheit sowie über die Beweggründe, sich überhaupt für diesen Duft zu interessieren oder ihn gar besitzen zu wollen, erfahren wir hingegen nichts. Für ein Ranking mit einer seriösen Aussage, muss vor der Erhebung der zugrundeliegenden Daten erstmal folgendes festgelegt werden: Was wird bewertet, wer und wie viele bewerten, welche Kriterien werden abgefragt. Die empirische Sozialforschung nennt das Objektivität, Reliabilität und Validität. Mit anderen Worten: “Messungen sollen möglichst objektiv, zuverlässig und gültig sowie des Weiteren für die praktische Durchführung ökonomisch, vergleichbar und nützlich sein.” Das sagt zumindest der Sozialwissenschaftler Jürgen Raithel. So kann beispielsweise selbst die Reihenfolge der Fragen oder die Integrität der Forschenden einen Einfluß auf das Ergebnis haben. Zahlen und Statistiken wirken objektiv und haben für uns eine Art magische Realität, der wir instinktiv vertrauen. Dabei stellte schon Franklin D. Roosevelt fest, dass er Statistiken etwas skeptisch gegenüber stehe. „Denn laut Statistik haben ein Millionär und ein armer Kerl jeder eine halbe Million.“

 

Baccarat Rouge 540

 

Dennoch machen Rankings Spaß und sortieren quasi für uns die Welt. Sie zeigen, was wir am liebsten tun, sehen, hören, lesen oder kaufen. Sie verraten uns die besten Restaurants und Ärzte, die Städte mit der besten Lebensqualität und die beliebtesten Urlaubsländer. Sie inspirieren und bestätigen uns, sie wecken Bedürfnisse und Wünsche. Aber sie können uns auch auf’s Übelste manipulieren. Denn „nicht die Statistik bestimmt das Ergebnis einer Studie, sondern der Finanzier“ wie Aphoristiker (ja, das gibt es tatsächlich) Helmut Glaßl einmal provokant behauptete und dabei nicht so unrecht hat. Insofern sind Rankings selbstredend ein perfektes Marketinginstrument, sozusagen die „eierlegende Wollmilchsau“ der Werbung. Rankings treffen einerseits eine auf Zahlen fußende Aussage, deren Interpretation sich jedoch andererseits aus dem Kontext erschließt und sie triggern darüber hinaus einen gesellschaftlichen Urinstinkt der heutigen Zeit: Dabei sein ist alles, jedoch von gestern geht gar nicht.

Nichtsdestotrotz bekommt Baccarat Rouge 540 meiner Meinung nach jedwede Aufmerksamkeit verdientermaßen. Hohe Qualität, gutes Design und ein stimmiges Konzept mit einem durchdachten Storytelling zahlt sich hier letztendlich aus. Ursprünglich lanciert zum 250jährigen Geburtstag der Pariser Luxus-Kristallmanufaktur Baccarat, wurde der Duft schnell zum Internethype. Gemäß dem Motto: Willst Du was gelten, mach Dich selten, gab es eine streng limitierte Auflage von 250 nummerierten Kristallflakons. Inspiriert vom typischen Baccarat „Rouge à l’or“ Kristall, das sich bei 540 Grad Celsius durch die Verschmelzung von 24-karätigem Goldpulver und klarem Kristallglas leuchtend rot färbt, war der Duft, als er wenig später regulär auf den Markt kam, aus dem Stand ein Bestseller. Dabei half natürlich, dass er sehr schnell in unzähligen Influencer Rankings vom besten Partyduft, über den ultimativen „Compliment Getter“ bis hin zum erfolgreichsten „Panty Dropper“ zu finden ist. Übrigens zu letzterem sei mir gestattet anzumerken, dass es schon lustig ist, wie simpel sich (geistig) kleine „Yo Man“ Jungs „die Kunst der Verführung“ vorstellen. Wie auch immer, dafür kann der Duft natürlich nichts, denn es ist „nur“ ein Parfum und nicht die Lösung aller zwischenmenschlichen Probleme. Nicht der Duft ist der Verführer, sondern letztendlich der Mensch, der ihn trägt. Selbst wenn der Duft so gut ist wie in diesem Fall Baccarat Rouge 540.

Christiane Behmann Christiane Behmann ist Diplom Sozialwissenschaftlerin und Texterin. Nachdem sie lange Jahre als Pressereferentin für verschiedene Unternehmen tätig war, wagte sie 2000 mit einer eigenen Werbeagentur den Schritt in die Selbständigkeit. 2007 gründete sie das „Archiv für Duft & feine Essenzen“ und war damals eine der ersten Bloggerinnen Deutschlands. Seit 2009 war sie außerdem Inhaberin vom Duftcontor in Oldenburg und arbeitet jetzt wieder in ihrem alten Beruf.


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